19,3 Millionen Menschen hierzulande haben einen Migrationshintergrund. Das ist das Ergebnis einer Erhebung des Statistischen Bundesamts. Das heißt aber auch: Jeder 4. Deutsche ist von Fremdenfeindlichkeit bedroht. Wohin das am Arbeitsplatz führen kann, zeigt dieser aktuelle Fall.
Schwerer Fall von Rassismus
Der Fall: 39 Jahre war der Kollege als Facharbeiter bei einer Chemie-Firma beschäftigt. Dazu war er zu 50 % schwerbehindert. Und fremdenfeindlich. Auf die Frage eines Kollegen, was er denn zu Weihnachten bekommen habe, antwortete der 55-jährige: „Ich habe mir eine Gaskammer gewünscht, diese aber nicht erhalten. Die Türken sollte man ins Feuer werfen und ihnen den Kopf abschlagen.“ Als der Arbeitgeber davon erfuhr kündigte er – nachdem er unter anderem seinen Betriebsrat vorschriftsmäßig angehört hatte.
Das Urteil: Die Kündigung ist wirksam. Da half dem Kollegen auch sein Schwerbehindertenausweis, der einen besonderen Kündigungsschutz mit sich bringt, nichts. Die klare Meinung der Richter: Wer ohne provoziert zu werden, einen solchen unmittelbaren Bezug zu den nationalsozialistischen Gräueltaten herstellt und sich auch schon vorher rassistisch geäußert hat, verdient es nicht, auch nur bis zum Ende der Kündigungsfrist weiterbesch.ftigt zu werden (LAG Düsseldorf, am 23.03.2021 veröffentlichtes Urteil vom 10.12.2020, 5 Sa 231/20).
Schwerbehinderten-Ausweis gibt Kündigungsschutz
Dabei ist es für Ihren Arbeitgeber gar nicht so einfach, einem schwerbehinderten Kollegen aus Ihrem Betrieb zu kündigen. Denn
- schwerbehinderte oder ihnen
- gleichgestellte Arbeitnehmer stehen unter besonderem Kündigungsschutz.
Wichtiger Hinweis: Diesen Sonderkündigungsschutz nach § 85 SGB IX oder § 91 Absatz 1 SGB IX genießt Ihre Kollegin oder Ihr Kollege bereits dann, wenn seine Schwerbehinderung zum Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung festgestellt ist.
Diese Kollegen stehen unter Schwerbehinderten-Kündigungsschutz
Als schwerbehindert gelten Personen mit einem anerkannten Grad der Behinderung (GdB) ab 50 (= 50 %).
Der besondere Kündigungsschutz gilt auch für solche Kolleginnen und Kollegen, die einem Arbeitnehmer mit Schwerbehinderung gleichgestellt sind (§ 68 Absatz 3 SGB IX). Das sind Personen mit einem Grad der Behinderung
- von weniger als 50, aber
- wenigstens 30 (§ 2 Absatz 3 SGB IX).
Wichtiger Hinweis! Der Sonderkündigungsschutz setzt allerdings erst dann ein, wenn das Arbeitsverhältnis länger als 6 Monate besteht (§ 90 SGB IX).
Ihr Arbeitgeber braucht zweimal „grünes Licht“
Will Ihr Arbeitgeber einer solchen Kollegin oder einem solchen Kollegen kündigen, muss er vorher nicht nur Sie als Betriebsrat anhören, sondern zusätzlich die Zustimmung des Integrationsamts einholen (§ 85 SGB IX). Anderenfalls ist die Kündigung unwirksam.
Wichtiger Hinweis: In allen Angelegenheiten, die schwerbehinderte Kolleginnen und Kollegen betreffen, muss der Arbeitgeber außerdem die Schwerbehindertenvertretung rechtzeitig und umfassend unterrichten bzw. anhören (§ 95 Absatz 2 SGB IX). Eine Schwerbehindertenvertretung muss in allen Betrieben gewählt werden, in denen dauerhaft wenigstens 5 schwerbehinderte oder gleichgestellte Kolleginnen und Kollegen beschäftigt werden (§ 177 SGB IX). Das gilt auch für die Kündigung eines Schwerbehinderten. Kommt der Arbeitgeber dieser Pflicht nicht nach, droht sogar eine Geldbuße von bis zu 2.500 € (§ 56 Absatz 1 Nr. 9 SGB IX).
Übersicht: Wie das Amt entscheiden kann
Diese 3 Möglichkeiten hat das Integrationsamt
- Das Amt stimmt zu: Erteilt das Integrationsamt seine Zustimmung, muss der Arbeitgeber die ordentliche Kündigung innerhalb eines Monats nach Zustellung des Bescheids aussprechen (§ 88 Absatz 3 SGB IX). Auf keinen Fall darf dies vor dem Eingang des Bescheids erfolgen
- Zurückweisung: Weist das Integrationsamt den Antrag des Arbeitgebers zurück, kann die Kündigung zunächst nicht wie geplant ausgesprochen werden. Ihr Arbeitgeber kann aber gegen den Bescheid des Integrationsamts innerhalb von einem Monat schriftlich Widerspruch erheben
- Negativattest: Stellt das Integrationsamt fest, dass die Kollegin oder der Kollege gar nicht unter das SGB IX fällt (= Negativattest), darf Ihr Arbeitgeber sofort die Kündigung aussprechen. Allerdings nur, wenn Sie als Betriebsrat vorher angehört worden sind.
Schnell-Check: Wann es keinen Sonderkündigungsschutz bei Schwerbehinderung gibt
- Das Arbeitsverhältnis besteht weniger als 6 Monate.
- Die Kollegin oder der Kollege hat die Anerkennung als Schwerbehinderter weniger als 3 Wochen vor der Kündigung beantragt?
- Der Schwerbehinderte hat das 58. Lebensjahr vollendet und einem Anspruch auf Abfindung oder Entschädigung aufgrund eines Sozialplans und der Kündigungsabsicht des Arbeitgebers widersprochen?
- Der Schwerbehinderte ist nur befristet beschäftigt und die vertragliche Befristungsdauer ist noch nicht abgelaufen?
- Der Arbeitsvertrag wurde wegen arglistiger Täuschung angefochten?
- Der Arbeitgeber hat sich zu Recht auf die Nichtigkeit des Arbeitsvertrags berufen?
Können Sie als Betriebsrat auch nur eine dieser Frage mit „Ja“ beantworten, steht der schwerbehinderte Kollege nicht unter Kündigungsschutz.
Bei der außerordentlichen fristlosen Kündigung muss der Antrag des Arbeitgebers innerhalb von 2 Wochen ab Kenntnis der Kündigungsgründe beim Integrationsamt eingegangen sein (§ 91 SGB IX). Entscheidet die Beh.rde nicht innerhalb von 2 Wochen, gilt die Zustimmung als erteilt.
Wichtiger Hinweis: Nach Erhalt der Zustimmung oder nach Ablauf der Entscheidungsfrist muss der Arbeitgeber unverzüglich die Kündigung aussprechen!
Was die Behörde von Ihnen als Betriebsrat wissen will
Keiner setzt sich mehr für die Belange Ihrer Kolleginnen und Kollegen ein, als Sie als Betriebsrat. Das weiß auch das Integrationsamt. Deshalb bittet die Behörde, sobald der Arbeitgeber einen Antrag auf Zustimmung zur Kündigung eines Schwerbehinderten gestellt hat, immer Sie als Betriebsrat um eine Stellungnahme (§ 170 Absatz 2 SGB IX).
Muster: So geben Sie gegenüber der Behörde eine Stellungnahme ab
Betriebsrat der Firma …
An das Integrationsamt bei der Bezirksregierung …
Geplante Kündigung der Schwerbehinderten … Stellungnahme gemäß § 170 Abs. 2 SGB IX
Sehr geehrte Damen und Herren,
in der Sitzung vom … hat der Betriebsrat beschlossen, den Antrag auf Zustimmung zur Kündigung der Schwerbehinderten … mit folgender Begründung nicht zu unterstützen:
Frau … ist seit dem … in unserer Firma als Lohnbuchhalterin beschäftigt.
Ihr Grad der Behinderung beträgt 50 % und stand bisher der ordentlichen Erfüllung ihrer arbeitsvertraglichen Pflichten nicht im Wege. Frau … ist verheiratet und hat zwei schulpflichtige Kinder im Alter von … und … Jahren und ist zum Unterhalt verpflichtet.
Soweit der Arbeitgeber darauf hinweist, wegen Fortfalls des Arbeitsplatzes von Frau … sei eine betriebsbedingte Kündigung unumgänglich, wird dem unsererseits widersprochen. Frau … ist zweifelsfrei in der Lage, in der Verwaltung an einem vergleichbaren Arbeitsplatz ihre bisherige Tätigkeit fortzusetzen. Die betreffende Abteilung ist ständig unterbesetzt, was die anliegenden Auszüge aus den Protokollen der Betriebsratssitzungen vom … und vom … belegen.
Zudem weisen wir darauf hin, dass die Antragstellerin trotz bestehender Möglichkeiten immer noch nicht Schwerbehinderte in der gesetzlich vorgeschriebenen Zahl beschäftigt.
Aus diesen Gründen verweigert der Betriebsrat seine Zustimmung zur beabsichtigten Kündigung von Frau … .
Mit freundlichen Grüßen
Unterschrift
Betriebsratsvorsitzender
Stand (13.3.2024)