Deutschland in der Streikzange. Die hohe Inflation sorgt dafür, dass die Gewerkschaften in diesem Jahr auf hohe Lohnzuschläge pochen und Ihre Kolleginnen und Kollegen zum Arbeitskampf aufrufen. Die Teilnahme daran ist legitim. Anders sieht das bei einem wilden Streik aus. Was streikende Kolleginnen und Kollegen in einem solche Fall erwartet, haben Richter jetzt klargestellt.
Fristlose Kündigung ist rechtens
Der Fall: Bei einem Berliner Lieferdienst hatte sich eine größere Zahl von Fahrradkurieren – bei dem Unternehmen auch „Rider“ genannt – versammelt, den Zugang zu mehreren Filialen des Unternehmens blockiert und Lieferfahrräder einfach auf den Kopf gestellt. Der Arbeitgeber hielt dies für einen „wilden Streik“ und hatte mehreren daran beteiligten Kolleginnen und Kollegen eine fristlose Kündigung ausgesprochen. Drei der betroffenen Kollegen klagten.
Das Urteil: Zwei der fristlosen Kündigungen sind wirksam. Wer sich an einem „wilden Streik“ beteiligt, begeht eine erhebliche arbeitsrechtliche Pflichtverletzung, urteilte das zuständige Arbeitsgericht in der Hauptstadt.
Genau das, so die Berliner Richter, sei die nicht gewerkschaftlich organisierte Protestaktion gewesen: Ein „wilder Streik“ und damit eine unzulässige Ausübung des grundrechtlich gesicherten Streikrechts (Art. 9 Abs. 3 Satz 1 GG). Bei den beiden Kollegen, denen eine aktive Beteiligung an der verbotenen Maßnahme nachgewiesen werden konnte, erklärte das Gericht die Kündigungen für wirksam. Der dritte Kollege, bei dem nicht zweifelsfrei festgestellt werden konnte, ob er sich an der Protestaktion beteiligt hatte, hatten die Richter zumindest an der hilfsweisen vom Arbeitgeber ausgesprochenen ordentlichen Kündigung – nichts auszusetzen (LAG Berlin, Urteile vom 25.04.2023, 16 Sa 868/22, 16 Sa 869/22 und 16 Sa 871/22).
Mein Tipp als Betriebsratsanwalt: Warnen Sie Ihre Kolleginnen und Kollegen infolge dieses Urteils noch einmal nachdrücklich davor, sich an einem „wilden Streik“ zu beteiligen, und nehmen Sie als Betriebsratsmitglied erst recht nicht an einer solchen nicht vom Streikrecht gedeckten Protestaktion teil.
Schnell-Check: Wann eine Streikbeteiligung erlaubt ist
- Verfolgt die Protestaktion kein von der Rechtsordnung gedecktes legitimes Ziel?
- Ist der Streik von Kolleginnen und Kollegen, einer anderen Gruppierung, aber nicht von einer Gewerkschaft organisiert?
- Wird durch den Arbeitskampf die Friedenspflicht oder eine Schlichtungsvereinbarung gebrochen?
Nur, wenn Sie als Betriebsrat diese drei Fragen mit einem klaren „Nein“ beantwortet haben, müssen Sie Ihren Kolleginnen und Kollegen reinen Gewissens von einer Beteiligung an dem – dann rechtmäßigen – Streik nicht abraten.
Dieses Ziel muss ein Streik verfolgen
In erster Linie muss mit dem Streik ein tariflich regelbares Ziel verfolgt werden. Das heißt: Bei dem Arbeitskampf muss es um Regelungen gehen, die tatsächlich in einem Tarifvertrag vereinbart werden dürfen (§ 1 Abs. 1 TVG). Dazu gehören zum Beispiel solche Vereinbarungen, die
- den Inhalt,
- den Abschluss und
- die Beendigung von Arbeitsverhältnissen oder
- betriebsverfassungsrechtliche Fragestellungen
betreffen.
Gewerkschaftliche Organisation ist Pflicht
Das ist logisch: Nur Gewerkschaften sind in der Lage, wirksame Tarifverträge abzuschließen (§ 2 Abs. 1 TVG). Deshalb ist die gewerkschaftliche Organisation Ihrer Kolleginnen und Kollegen auch eine der wichtigsten Voraussetzungen für einen wirksamen Streik.
Schnell-Check: Wie ein Streik ordnungsgemäß organisiert ist
- Hat die Gewerkschaft einen wirksamen Streikbeschluss gefasst?
- Wurde der Arbeitgeber rechtzeitig von dem geplanten Arbeitskampf benachrichtigt?
- Ist der Arbeitgeber außerdem über das mit dem Streik verfolgte Ziel informiert worden?
Lautet Ihre Antwort auf alle diese drei Fragen „Ja“, ist der Streik von der Gewerkschaft rechtmäßig organisiert.
Es liegt kein Verstoß gegen die Friedenspflicht vor
Beim Abschluss eines Tarifvertrags vereinbaren die Gewerkschaft und die Arbeitgeberseite darin auch grundsätzlich eine Friedenspflicht. Das bedeutet nichts anderes, als dass während der Laufzeit
- kein Streik mit dem Ziel durchgeführt werden darf, die bestehenden Vereinbarungen des Tarifvertrags zu verändern und
- nicht zu einem neuen Arbeitskampf aufgerufen werden darf, um übertarifliche Löhne für Ihre Kolleginnen und Kollegen durchzusetzen.
Der Streik muss immer verhältnismäßig sein
Schließlich muss jede Arbeitskampfmaßnahme der Gewerkschaft immer
- geeignet,
- erforderlich und
- angemessen sein,
um das rechtmäßig verfolgte Ziel des Streiks durchzusetzen.
Mein Tipp als Betriebsratsanwalt: Überzeugen Sie sich also davon, dass der Streik auch wirklich das letzte Mittel ist, um das tariflich legitime Ziel durchzusetzen. Andernfalls sollten Sie als Betriebsrat Ihre Kolleginnen und Kollegen vor einer Streikteilnahme warnen.
Stand (06.06.2023)