Mehr als jede zweite Kollegin und fast 70 % Ihrer Kollegen bringen zu viele Kilos auf die Waage. Jeder vierte Erwachsene ist sogar stark übergewichtig. Das ist leider ein Fakt, mit dem wir leben müssen. Doch kann starkes Übergewicht auch eine Behinderung sein? Ja, sagt der Europäische Gerichtshof (EuGH) und schon sind Sie bei den betroffenen Kollegen mit im Boot, wenn diese wegen Ihres Gewichtes benachteiligt werden.
EuGH: Diskriminierung wegen Behinderung möglich
Denn der EuGH stellte fest, dass Adipositas eine Behinderung im Sinne der Richtlinie darstellen kann. Der Begriff „Behinderung“ versteht der EuGH, als eine Einschränkung, die unter anderem auf physische, geistige oder psychische Beeinträchtigungen von Dauer zurückzuführen ist, die in Wechselwirkung mit verschiedenen Barrieren den Betreffenden an der vollen und wirksamen Teilhabe am Berufsleben hindern können.
Das bedeutet: Auch, wenn ein Kollege oder eine Kollegin keinen GdB vorzuweisen hat, kann ein starkes Übergewicht trotzdem eine Behinderung sein, die Sie als SBV auf den Plan ruft. Und das kommt zumeist dann auf Ihren Tisch, wenn der Arbeitgeber oder Dienstherr eine Kündigung wegen starkem Übergewicht aussprechen möchte.
Ist eine Kündigung wegen Übergewicht möglich?
Grundsätzlich lautet die Antwort: Ja. Ihr Arbeitgeber oder Ihre Dienststellenleitung kann stark übergewichtigen Kolleginnen und Kollegen eine krankheitsbedingte Kündigung aussprechen, sobald die Adipositas
- die Leistungsfähigkeit der Kollegin oder des Kollegen beeinträchtigt, so dass für das gezahlte Gehalt keine angemessene Gegenleistung mehr geboten wird oder
- die krankheitsbedingten Fehlzeiten der Kollegin oder des Kollegen sehr stark zunehmen,
kann die Kündigung als letztes Mittel rechtfertigen.
Wichtig: Die Kündigung muss wirklich das letzte Mittel darstellen und das Problem nicht z. B. auch durch eine Versetzung oder Änderungskündigung gelöst werden. Ist das der Fall, muss nämlich die mildere Maßnahme ergriffen werden.
Adipositas: Das ist kein Kündigungsgrund
Das eine solche Kündigung tatsächlich nicht so einfach ist, zeigt folgenden Urteil:
Trotz 200 Kilo Körpergewicht konnte ein Mitarbeiter einer Düsseldorfer Gärtnerei nicht gekündigt werden. Zwar hatte sein Arbeitgeber die Kündigung damit begründet, dass die Beschäftigung des 1,94 langen Mitarbeiters wegen seiner Adipositas unausweichlich war, weil der Arbeitnehmer
- nicht mehr auf eine Leiter steigen konnte,
- nicht mehr mit zwei, sondern nur noch mit einem Kollegen in die Kabine des Transporters passte und
- sich auch keine passende Arbeitskleidung für ihn auftreiben ließ.
Das genügte den Richtern aber nicht, um der Kündigung zuzustimmen. Zumal der Mann bereits seit 30 Jahren in dem Gärtnerbetrieb beschäftigt war (Arbeitsgericht Düsseldorf, 17.12.2015, 7 Ca 4616/15).
So funktioniert die krankheitsbedingte Kündigung
Wie wir sehen, ist Krankheit an sich ist noch kein Kündigungsgrund. Im Fall der Gärtnerei hat es sich der Arbeitgeber zu leicht gemacht. Aber wann wird eine Krankheit überhaupt zum Kündigungsgrund?
Dazu müssen immer die nachfolgenden 3 Voraussetzungen vorliegen:
1. Liegt eine negative Zukunftsprognose vor?
Kann Ihr Arbeitgeber zu dem Zeitpunkt, zu dem das Kündigungsschreiben Ihrem Kollegen oder Ihrer Kollegin zugeht davon ausgehen, dass in Zukunft mit weiteren Erkrankungen dieses Arbeitnehmers zu rechnen ist, wie etwa bei chronischen Erkrankungen (vgl. Landesarbeitsgericht (LAG) Rheinland-Pfalz, Urteil vom 29.3.2006, Az. 10 Sa 883/05)? Liegt keine negative Gesundheitsprognose vor, scheitert die krankheitsbedingte Kündigung bereits an diesem Punkt.
2. Sind die betrieblichen Interessen erheblich beeinträchtigt?
Zusätzlich zur negativen Gesundheitsprognose muss Ihr Arbeitgeber oder Dienstherr belegen können, dass durch die krankheitsbedingte Abwesenheit des Mitarbeiters seine betrieblichen Interessen spürbar beeinträchtigt werden. Dies ist bei
– Störungen im Betriebsablauf oder wirtschaftlichen Belastungen
der Fall. Es reicht nicht, wenn Ihr Arbeitgeber sagt, durch den Ausfall Ihres Kollegen musste er für Ersatz sorgen.
Er muss konkret werden:
- Ist es zu Störungen gekommen?
- Wie sehen diese aus und wie haben sie sich ausgewirkt?
- Musste er umorganisieren?
- Mit welchen Konsequenzen war das verbunden?
- verursacht?
- Welche Entgeltfortzahlungskosten hat der Mitarbeiter bereits
- Musste Ihr Arbeitgeber eine Aushilfe suchen, einstellen und
- bezahlen?
Bei der Prüfung dieser Punkte muss Ihr Arbeitgeber zu folgenden Ergebnis kommen: Gemessen an dem, was der Arbeitnehmer tatsächlich gearbeitet hat, hat er deutlich mehr Kosten verursacht. Kann Ihr Arbeitgeber dies nicht, sieht es schlecht aus für seine Kündigung.
3. Fällt die Interessenabwägung zugunsten des Arbeitgebers aus?
Vor Ausspruch der Kündigung muss Ihr Arbeitgeber auch immer eine Interessenabwägung machen. Zu klären ist, ob es trotz negativer Zukunftsprognose und trotz erheblicher Beeinträchtigung Ihrer betrieblichen Interessen Aspekte gibt, die dazu führen, dass das Beschäftigungsinteresse des Mitarbeiters das Kündigungsinteresse Ihres Arbeitgebers überwiegt. Diese Abwägung muss er plausibel darlegen können.
| Checkliste: So prüfen Sie eine krankheitsbedingte Kündigung | ||
| Prüfungspunkte | ||
| Ja | Nein | |
| Liegt überhaupt eine Krankheit vor und nicht eine altersbedingte „Verschleißerscheinung“? | ||
| Ist die Prognose negativ? | ||
| Sind die wirtschaftlichen Interessen des Arbeitgebers erheblich beeinträchtigt? | ||
| Geht die umfassende Interessenabwägung zugunsten des Arbeitgebers aus? | ||
| Hat Ihr Arbeitgeber bzw. Dienstherr den besonderen Kündigungsschutz beachtet? | ||
| Wurden Sie ordnungsgemäß angehört? | ||
| Wurde die Schriftform der Kündigung eingehalten? | ||
| Schon bei einem „Nein“ ist die krankheitsbedingte Kündigung zum Scheitern verurteilt |
Ist Ihre Zustimmung als SBV erforderlich?
Bis vor das Arbeitsgericht muss ein solcher Fall dank Ihnen als SBV jedoch gar nicht kommen. Denn sowohl Sie als auch das Integrationsamt sind zu beteiligen, wenn es sich bei der Adipositas um eine Behinderung handelt und das ist der Fall, wenn die Kollegin oder der Kollege deswegen am Arbeitsleben nicht mehr voll teilhaben kann. Und in dieses Fällen sollte Ihr Arbeitgeber oder Dienstherr für Ihre Mitwirkung dankbar sein, denn im Falle seiner Kündigung oder einer unberechtigten Versetzung wäre dann eine Entschädigung wegen Diskriminierung möglich.
Wann keine Diskriminierung vorliegt
Eine Behinderung gilt als persönliches Merkmal Ihrer Kollegin oder Ihres Kollegen, wegen der er nicht diskriminiert werden darf (§ 1 Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz (AGG)). Für Ihren Arbeitgeber oder Dienstherren bedeutet das, dass personelle Maßnahme, also zum Beispiel eine Versetzung von stark übergewichtigen Kolleginnen und Kollegen, immer auf einen sachlichen Grund stützen muss, der die Entscheidung rechtfertigt. Ob ein sachlicher Grund vorliegt, können Sie anhand der folgenden Checkliste überprüfen. Wenn nicht mindestens ein Punkt davon vorliegt, können Sie Ihre Zustimmung zur personellen Maßnahme verweigern:
Checkliste: Welche sachlichen Gründe vorliegen müssen
- eine drohende Gesundheitsgefährdung für die Kollegin oder den Kollegen,
- ein gesundheitliches Risiko für die Arbeitskollegen oder
- dass bestehende Arbeitsschutzvorschriften nicht mehr eingehalten werden können.
Stand (27.08.2024)

