Dass Kolleginnen und Kollegen nicht miteinander auskommen, kommt in jedem Betrieb oder jeder Dienststelle vor. Problematisch wird es dann, wenn die Konflikte derart zunehmen, dass die Kollegen sogar die Entlassung des „Störers“ fordern. Doch eine Kündigung ist dann doch keine Mehrheitsentscheidung, wie der aktuelle Fall zeigt.
„Sie oder ich“
Eine Chemie-Laborantin, die bereits seit 26 Jahren im gleichen Betrieb arbeitete, geriet seit vielen Jahren mit den Kolleginnen und Kollegen ihres Labors immer wieder in Streit. Trotz verschiedener interner Wechsel der Arbeitsstelle wurden diese Probleme nicht geringer. Zuletzt ging dies so weit, dass der Laborleiter wegen ihr seine Leitungsfunktion aufgab und sich eine andere Kollegin in ein anderes Labor versetzen ließ.
Doch auch die Chemie-Laborantin litt unter der Situation und brach schließlich zusammen. Es folgte eine fast 2 Jahre anhaltenden Arbeitsunfähigkeit wegen einer massiven BurnOut-Symptomatik in Verbindung mit dissoziativen Störungen. Schließlich wurde sie daraufhin auch durch Bescheid schwerbehinderten Menschen gleichgestellt.
Als die Kollegin nach ihrer Genesung wieder an ihren Arbeitsplatz zurückwollte, stellten sich die anderen quer: Bei einer Befragung durch die Arbeitgeberin gaben Kolleginnen und Kollegen an, dass sie eine weitere vertrauensvolle Zusammenarbeit mit der Laborantin nicht mehr für möglich hielten.
Für den Fall der Rückkehr der Kollegin an ihren Arbeitsplatz wollten sie sogar nicht ausschließen, sich nach einer anderen Stelle umzusehen oder sich krankschreiben zu lassen, weil der Stress zu hoch sei.
Weil sie fürchtete, dass die Kolleginnen und Kollegen ihre Überlegungen in die Tat umsetzen und gehen könnten, entschloss sich die Arbeitgeberin die Chemie-Laborantin, die den Ärger der anderen auf sich gezogen hatte, mit Hilfe einer Änderungskündigung an einen anderen, 90 Kilometer entfernten Standort, zu versetzen. Das Integrationsamt stimmte dieser Änderungskündigung auch zu. Das wollte die betroffene Chemie-Laborantin aber nicht hinnehmen und klagte.
Druck ergibt keine soziale Rechtfertigung für eine Kündigung
Das Landgericht Nürnberg gab ihr dann auch recht, die Kündigung war unwirksam. Die Begründung: Die Änderungskündigung war sozial nicht gerechtfertigt.
Die soziale Rechtfertigung einer sog „Druckkündigung“ lässt sich laut Landgericht nämlich nicht daraus ableiten, dass die Mehrzahl der Kolleginnen und Kollegen angibt, nicht mehr zusammenarbeiten zu wollen. Auch die „Androhung“, für den Fall der Rückkehr der Mitarbeiterin das Unternehmen zu verlassen, reicht hierzu nicht aus.
Im Gegenteil, muss der Arbeitgeber tätig werden, um den aufgebauten Druck abzuwenden. Die Arbeitgeberin hätte hier den Versuch unternehmen müssen, die anderen Kollegen umzustimmen und zumindest verlangen müssen, einer Zusammenarbeit mit der betreffenden Kollegin noch einmal eine Chance zu geben (LAG Nürnberg, gerade erst veröffentlichtes Urteil vom 12.12.2023, 7 Ca 61/23).
Ihre Vermittlung vor einer Kündigung
Gerade, wenn eine schwerbehinderte Kollegin oder ein schwerbehinderter Kollege durch sein Verhalten aneckt, sind Sie natürlich der erste Ansprechpartner für beide Parteien. Sie sind in der Lage mit der Kollegin oder dem Kollegen zu sprechen und auch eine mögliche Lösung zu suchen, die als mildere Maßnahme eine Kündigung ausschließt.
Tipp: Spätestens, wenn Sie Ihre Stellungnahme zu einer Kündigung abgeben, können Sie darauf hinweisen, dass auch der Arbeitgeber oder Dienstherr eine Schutzpflicht gegenüber allen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern hat, also auch gegenüber dem vermeintlichen „Störer“. Nehmen Sie zur Begründung die nachfolgende Checkliste als Hilfe.
Checkliste: Was Ihr Arbeitgeber oder Dienstherr vor einer Druckkündigung tun muss
Hat der Arbeitgeber | Ja | Nein |
sich zunächst schützend vor die betroffene Kollegin oder den betroffenen Kollegen gestellt? | ||
die anderen befragt, die mit der eigenen Kündigung drohen, wo die Probleme liegen? | ||
einen ernsthaften Versuch unternommen, die anderen Kolleginnen und Kollegen, um diese von ihrer Drohung abzubringen? | ||
versucht, zwischen beiden Lagern zu vermitteln? | ||
den anderen Kolleginnen und Kollegen erklärt, dass objektiv kein Kündigungsgrund gegen die betroffene Kollegin oder den betroffenen Kollegen vorliegt und eine Kündigung keinen Erfolg haben könnte? | ||
den anderen vor Augen geführt, was es für die weitere Zusammenarbeit bedeuten würde, wenn die betreffende Kollegin oder der betreffende Kollege die Kündigungsschutzklage vor dem Arbeitsgericht gewinnt und dann wieder an den Arbeitsplatz zurückkehrt? | ||
die anderen gebeten, es mit der Kollegin noch einmal auszuprobieren? |
Haben Sie gerade auch nur einmal mit „Nein“ geantwortet, kann das die auf den Druck der anderen erfolgte Kündigung der Kollegin oder des Kollegen unwirksam machen.
Stand (30.04.2024)