Frage: Ich bin Betriebsrat in einem Pflegeheim. Außerdem bin ich Mitglied bei Ver.di. Die fordert für unsere Kolleginnen und Kollegen jetzt ein Lohnplus von 4,8 %, mindestens aber 150 Euro pro Monat für 12 Monate. Azubis sollen jeden Monat 100 Euro mehr bekommen. Eine gute Idee, wie ich finde. Schließlich haben meine Kolleginnen und Kollegen am Anfang der Corona-Krise viel geschuftet, dafür aber außer Applaus nichts bekommen. Ver.di will diesen Lohnerhöhungen nun mit Warnstreiks mehr Nachdruck verleihen. Ich denke darüber nach, den Streikaufruf der Gewerkschaft über meinen betrieblichen E-Mail-Account an meine Kolleginnen und Kollegen im Betrieb weiterzuleiten, damit sich auch möglichst viele beteiligen.
Antwort: Das ist keine gute Idee! Warum, zeigt ein Urteil, dass ich Ihnen eigens zu diesem Zweck herausgesucht habe. Dieser Fall ist nämlich mit Ihrem absolut zu vergleichen und macht deutlich, warum Sie von Ihrem Plan besser die Finger lassen, wenn Sie keinen Rechtsstreit mit Ihrem Arbeitgeber provozieren wollen. Denn den können Sie leider nur verlieren.
Genauso wie Sie, wollte ein Betriebsratsvorsitzender und sein Stellvertreter – beide ebenfalls Gewerkschaftsmitglieder – einen Streikaufruf über den betrieblichen namentlichen E-Mail-Account unter der Belegschaft verbreiten. Im Gegensatz zu Ihnen erkundigten sich diese beiden Kollegen aber vorher nicht und setzten die Idee einfach in die Tat um. In dieser E-Mail rief die „Betriebsgruppe ver.di“ alle Kolleginnen und Kollegen des Betriebs auf, sich an dem Warnstreik zu beteiligen. Unterzeichner für die „Betriebsgruppe ver.di“ waren der Betriebsratsvorsitzende und sein Stellvertreter. Darunter standen die Telefonnummer des Betriebsratsbüros und die privaten Mobilfunknummern der beiden.
Die Folge: Der Arbeitgeber verbot den beiden mit sofortiger Wirkung die Nutzung der E-Mail-Accounts mit der Begründung, dass mit diesem Sachmittel nicht zum Streik aufgerufen werden dürfe. Die Sache landete vor dem Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg, das sich auf die Seite des Arbeitgebers stellte. Die Richter sahen in dem Verhalten der beiden Kollegen einen Ver- stoß gegen die betriebliche Neutralitätspflicht (§ 74 Abs. 2 Satz 1 BetrVG). Es ist nämlich Ihre Pflicht als Betriebsrat, auch vor oder während eines Warnstreiks nicht nur die Gewerkschaftsmitglieder, sondern die Interessen aller Kolleginnen und Kollegen im Betrieb zu vertreten. Deshalb dürfen Sie nicht als verlängerter Arm der Gewerkschaft im Betrieb zum Warnstreik aufrufen (LAG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 31.01.2012, 7 TabV 1733/11).
(Stand 21.09.2020)