Frage: Unser Arbeitgeber möchte ab sofort bei Einstellungsverfahren die Frage nach der Schwerbehinderung stellen. Er gibt an, dass es für die Organisation des Arbeitsbetriebes notwendig sei, diese Information zu haben. Außerdem möchte er durch die Antworten auch erfahren, ob er durch die Neueinstellung die Ausgleichsabgabe nach § 154 SGB IX senken kann. Wir sind der Meinung, dass er diese Frage gar nicht stellen darf. Haben wir mit unserer Ansicht recht?
Die Frage ist nur in speziellen Fällen erlaubt
Antwort: Es kommt wie immer auf die Umstände an. Grundsätzlich sind Fragen nach der Schwerbehinderung nur noch auf ganz wenige Ausnahmefälle beschränkt. Die Frage nach Behinderung oder Schwerbehinderung ist in der Phase der Vertragsanbahnung und in den ersten 6 Monaten des Arbeitsverhältnisses grundsätzlich unzulässig, solange diese für die Ausübung der vorgesehenen Tätigkeit ohne Bedeutung ist.
Ist eine bestimmte körperliche Funktion, geistige Fähigkeit oder seelische Gesundheit eine entscheidende Voraussetzung für einen konkreten Arbeitsplatz, so darf der Arbeitgeber fragen, ob der Bewerber an Beeinträchtigungen leidet, durch die er für die Erfüllung der von ihm erwarteten arbeitsvertraglichen Pflichten ungeeignet ist. Das bedeutet: Nur dann, wenn der zu besetzende Arbeitsplatz besondere körperliche Fähigkeiten erfordert, sind solche Fragen erlaubt.
Beispiele: Wann die Frage nach der Behinderung in der Einstellungsphase erlaubt sein kann
Die nachfolgenden Fragen dürfen sich natürlich nur auf eine Behinderung beziehen, die auch für die Tätigkeiten relevant sind:
Die auf dem Arbeitsplatz zu verrichtenden Tätigkeiten erfordern eine … | |
… erhebliche Beinarbeit (beispielsweise acht Stunden stehende Tätigkeiten) | |
… erhebliche Armarbeit (beispielsweise zum Heben und Tragen von Lasten) | |
… erhebliche Laufarbeit (beispielsweise zehn Kilometer gehen pro Tag) | |
… erhebliche Seharbeit (zum Beispiel Erkennen von Farbsignalen) | |
Wenn diese und ähnlich gelagerte Fragen nicht für die zu verrichtende Arbeit relevant sind, ist die Frage nach der Schwerbehinderung unzulässig |
Wichtig: Wenn diese Voraussetzung nicht gegeben ist, so ist die Frage nach der Schwerbehinderteneigenschaft unzulässig und stellt eine unmittelbare Diskriminierung dar. Wird die Frage dennoch gestellt, muss sie nicht wahrheitsgemäß beantwortet werden („Recht zur Lüge“). Der Arbeitgeber kann den Arbeitsvertrag aufgrund der unwahren Antwort auch nicht anfechten.
Wichtig: Von sich aus muss der Arbeitnehmer seinen Schwerbehindertenstatus natürlich ebenfalls grundsätzlich nicht offenbaren. Eine Offenbarungspflicht hat er ausnahmsweise nur dann, wenn er erkennen muss, dass er die Arbeit aufgrund seiner Schwerbehinderung gar nicht leisten kann.
Ist die Nachfrage erlaubt, wenn es um die Ausgleichsabgabe geht?
Teilweise wird dem Arbeitgeber das Recht zuerkannt, nach der Schwerbehinderung eines Bewerbers zu fragen, wenn er das Ziel verfolgt, die Ausgleichsquote nach § 154 SGB IX zu erfüllen. Das ist allerdings zweifelhaft, solange er nicht schon zu Beginn der Ausschreibung der Stelle auf dieses Ziel hingewiesen hat und deshalb auch Schwerbehinderte speziell anspricht.
Unstreitig ist allerdings, dass der schwerbehinderten Bewerber das Recht hat, auf die Frage wahrheitswidrig zu antworten, weil er dem Arbeitgeber nicht trauen muss. Auf dieses Recht hat der Arbeitgeber den Bewerber hinzuweisen, weil dem Missbrauch ansonsten Tür und Tor geöffnet wäre.
Wann ausnahmsweise doch gefragt werden darf
Eine Ausnahme nach dem Fragerecht kann allerdings im Laufe eines Arbeitslebens entstehen. Der Arbeitgeber hat nach Ablauf von 6 Monate ein Fragerecht, wenn es um die Vorbereitung von Kündigungen oder der Erstellung eines Sozialplanes geht. Da es hier auch um Schutzpflichten gegenüber den Kolleginnen und Kollegen geht, darf der Arbeitgeber in diesen Fällen nachfragen. Insbesondere bei Kündigungen geht es darum, die Sozialauswahl richtig zu gestalten, denn die Schwerbehinderung ist ein Kriterium, das dabei berücksichtigt werden muss. Hier ist die Beantwortung der Frage für Schwerbehinderte in den meisten Fällen aber auch anzuraten, da die Behinderung ansonsten keine Berücksichtigung bei der Sozialauswahl spielen kann.
Stand (28.05.2024)