Kennen Sie das nicht auch aus Ihrer Praxis als Schwerbehindertenvertretung? Ein schwerbehinderter Kollege oder eine Kollegin kommen mit einem Zeugnis des Arbeitgebers oder Dienstherren zu Ihnen und fragt, ob Sie zusammen das Zeugnis durchgehen können. Denn viele sind unsicher, was das Zeugnis aussagt. Und das zurecht: Denn die Formulierung bedeuten nicht immer das, was sie auf den ersten Blick zu sagen scheinen. Und dann stellt sich schnell die Frage, ob und wie dagegen vorgegangen werden kann, wenn der Inhalt unfair erscheint.
So verstehen Sie die Geheimsprache im Zeugnis
Es hilft also allen Seiten, wenn auch Sie mit den Bedeutungen der Zeugnisformulierungen vertraut sind. Doch diese sind nicht ganz einfach zu verstehen und das liegt in der langen Geschichte der Arbeitszeugnisse und vielen Rechtsstreitigkeiten darüber.
Denn: Zeugnisse müssen wohlwollend formuliert sein. Die Bewertungen dürfen also nicht unverblümt mitteilen, dass ein Arbeitgeber mit den Arbeitsleistungen völlig unzufrieden war. Er muss also durch die Blume sprechen. Und gerade das macht das Verständnis des Inhaltes schwierig.
Denn wie wird formuliert, wenn der Arbeitgeber Ihrer Kollegin oder Ihrem Kollegen wohlwollend nur eine „Vier“ (oder schlechter) geben will? Dazu haben sich in den letzten Jahrzenten im Zeugnisrecht Geheim-Codes entwickelt. Die klingen freundlich. Doch dahinter steckt dann oft eine viel schlechtere Note, als Ihre Kollegin oder Ihr Kollege denkt.
Doch machen wir einen Selbsttest: Mit dem folgenden Check finden Sie in zwei Minuten heraus, ob Sie die aktuellen Codes für die Leistungsbeurteilung im Zeugnis erkennen. Tragen Sie hinter die Formel einfach die versteckte Note ein:
Selbst-Check: Hier finden Sie heraus, ob Sie die aktuellen Codes kennen
Formulierung | Note |
Er/Sie hat sich bemüht, die übertragenen Arbeiten zu unserer Zufriedenheit zu erledigen. | … |
Er/Sie hat die ihm übertragenen Aufgaben im Großen und Ganzen zu unserer Zufriedenheit erledigt. | … |
Mit seinen/ihren Leistungen waren wir zufrieden. | … |
Seine/Ihre Leistungen war zu unserer vollen Zufriedenheit. | … |
Er/Sie hat seine Aufgaben zu unserer vollsten Zufriedenheit erledigt | … |
Auflösung: Haben Sie von oben nach unten die Noten in der umgekehrten Reihenfolge 5 bis 1 vergeben? Dann macht Ihnen bei den aktuellen Geheim-Codes im Arbeitszeugnis so schnell keiner etwas vor.
Gegen das Arbeitszeugnis klagen?
Wenn eine Kollegin oder ein Kollege nicht mit einem Zeugnis einverstanden ist, gibt es mehrere Möglichkeiten, dagegen vorzugehen. Naheliegend ist, das Gespräch mit dem Arbeitgeber oder dem Dienstherrn zu suchen und um eine Änderung zu bitten. Hierbei können Sie als Schwerbehindertenvertretung auf Bitten der Kollegen auch vermitteln und helfen.
Der andere Weg ist gegen das Zeugnis gerichtlich vorzugehen und eine Änderung per Klage zu erreichen. Das schreckt jedoch viele Schwerbehinderte ab, denn ein Streit mit dem Arbeitgeber ums Zeugnis kann teuer werden. Wer keine Rechtschutzversicherung hat, die die Kosten in arbeitsrechtlichen Angelegenheiten übernimmt, für den wird die Belastung schnell recht hoch.
Umso dankbarer wird Ihre Kollegin oder Ihr Kollege sein, wenn Sie als Schwerbehindertenvertretung bereits im Vorfeld eine erste unverbindliche Einschätzung zum Zeugnis und seiner Rechtmäßigkeit abgeben können. Das kann die Entscheidung erleichtern, ob sie am Ende wirklich mit einem Anwalt in die Auseinandersetzung mit dem Arbeitgeber ziehen wollen.
Tipp: Da für den Arbeitgeber oder Dienstherrn die Kosten eines Rechtsstreits mindestens genauso hoch sind, wird er für eine gütliche Einigung eher ein offenes Ohr haben und eine Berichtigung des Zeugnisses in Betracht ziehen.
Die Schwerbehinderung im Zeugnis
Grundsätzlich hat die Erwähnung der Schwerbehinderung, ebenso wie eine Erkrankung, nichts im Zeugnis zu suchen. Umstritten ist, ob eine erkennbare Behinderungen angegeben werden muss, wobei hier davon auszugehen ist, dass auch hier eine Erwähnung für die Bewertung der Arbeitsleistung des Zeugnisses nicht notwendig ist.
Etwas Anderes ist möglich, wenn der Behinderte den Hinweis auf die Behinderung wünscht. Das kommt vor allem dann vor, wenn der Hinweis erfolgen soll, dass er seinen Aufgaben trotz der Behinderung in vollem Umfang nachgekommen ist.
Tipp: Wenn ein schwerbehinderter Kollege oder eine Kollegin diese Erwähnung wünscht, sollten Sie das durchaus kritisch diskutieren. Denn die Aussage eines Zeugnisses ändern sich grundlegend von „Sehr guter Leistung“ zu: „trotzdem eine sehr gute Leistung“, wobei das „trotzdem“ einer gleichberechtigten Bewertung der Leistungen entgegenstehen kann.
Beurteilung: Diese 3 Zeugnisregeln verraten etwas über die Leistungen
Doch nicht nur die Formulierungen, sondern schon die Inhalte und sogar die Länge eines Zeugnisses sagen viel über den Inhalt aus. Als Faustformel können Sie festhalten: Je kürzer das Zeugnis, desto schlechter die Bewertung. Natürlich ist der Dienstherr bzw. Arbeitgeber nicht an diese Faustformel gebunden. Da das Zeugnis aber auch von anderen Arbeitgebern in der Bewerbungsphase gelesen wird, ist diese Interpretation trotzdem wichtig:
Regel Nr. 1 | Je zufriedener Ihr Arbeitgeber mit der Kollegin oder dem Kollegen ist, desto ausführlicher sollte das Arbeitszeugnis sein. |
Regel Nr. 2 | Eine knappe und kurze Leistungsbeurteilung spricht für eine nur durchschnittliche oder gar unterdurchschnittliche Leistung. |
Regel Nr. 3 | Verzichtet Ihr Arbeitgeber komplett auf eine Leistungsbeurteilung, spricht das in der Regel für eine mangelhafte Leistung der Kollegin oder des Kollegen. Zwar ist der Chef verpflichtet, auf Verlangen Ihrer Kollegin oder Ihres Kollegen eine Leistungsbeurteilung abzugeben, aber: Wo kein Kläger, da kein Richter. |
Wichtig: Wenn Ihre Kollegin oder Ihr Kollege nicht mit der Bewertung des Zeugnisses zufrieden ist, muss er oder sie beweisen, dass die Leistungen besser waren, als seine Bewertung im Zeugnis das widerspiegelt. Und das ist nicht einfach. Aber: Ist die Note schlechter als eine „Drei“, dreht sich die Beweislast um! Dann muss der Arbeitgeber beweisen, dass die Leistungen der Kollegin oder des Kollegen unterdurchschnittlich waren (BAG, 14.10.2003, 9 AZR 12/03).
Der Eindruck zählt: Auch auf das Aussehen des Zeugnisses kommt es an
Das Zeugnis ist die Visitenkarte Ihrer Kollegin oder Ihres Kollegen bei der Bewerbung in einem anderen Unternehmen. Deshalb kommt es nicht nur auf die Note, sondern auch auf den Aufbau an. Nicht nur bei den schwerbehinderten Kollegen, sondern bei allen Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen sollten deshalb folgende Bestandteile im Zeugnis enthalten sein:
Diese Inhalte müssen im Zeugnis zu finden sein
Firmenbriefkopf | |
Überschrift | Zeugnis |
Eingangsformel | Personalien |
Dauer des Arbeitsverhältnisses | |
Aufgaben- und Tätigkeitsbeschreibung | Aufgabengebiet im Unternehmen, Kompetenzen, berufliche Entwicklung |
Leistungsbeurteilung | Arbeitsbereitschaft, -befähigung, -vermögen und -erfolge,zusammenfassende Leistungsbeurteilung sowie Belastbarkeit |
Bei Führungskräften:Führungsleistung | Angaben zu Mitarbeitermotivation, -leistung und -erfolg |
Verhaltensbeurteilung | Verantwortungsbereitschaft, Gewissenhaftigkeit, Sozialv |
Beendigungsmodalität | z.B. verlässt unser Unternehmen auf eigenen Wunsch |
Schlussformel | Dank für die Zusammenarbeit, Bedauern, Zukunftswünsche |
Aussteller | Vorgesetzter oder Personalverantwortlicher |
Ort, Datum | |
Unterschrift |
Stand (26.03.2024)