Glück im Unglück hatte ein 60 Jahre alter, schwerbehinderter Arbeitnehmer. Er hatte seinen Arbeitgeber als „korrupt“ und „mafiös“ bezeichnet und daraufhin die fristlose Kündigung erhalten. Für das Landesarbeitsgericht Köln ein klarer Fall für eine Kündigung (LAG Köln, Urteil vom 16.5.2023, Az. 4 Sa 559/22). Denn grobe Beleidigungen sind von der Meinungsfreiheit nicht mehr gedeckt. Doch da wäre noch etwas …
Der Arbeitnehmer war zum Zeitpunkt der Kündigung 60 Jahre alt. Seit 23 Jahre war er bei diesem Arbeitgeber beschäftigt. Er hatte noch nie zuvor eine Abmahnung erhalten. Also wog das Gericht folgende Kriterien gegeneinander ab: Gewicht und Auswirkungen der Vertragspflichtverletzung, Grad des Verschuldens des Arbeitnehmers, mögliche Wiederholungsgefahr, Dauer des Arbeitsverhältnisses und dessen störungsfreien Verlauf.
Unter Berücksichtigung all dieser Kriterien überwogen aus Sicht des Gerichts die Interessen des Arbeitnehmers am Fortbestand des Arbeitsverhältnisses die des Arbeitgebers an der Beendigung des Arbeitsverhältnisses. Dazu kam:
Der Arbeitnehmer war seit 2019 in jedem einzelnen Jahr länger als 6 Wochen arbeitsunfähig krank. Der Arbeitgeber hatte aber in keinem Jahr seine gesetzliche Verpflichtung aus § 67 Absatz 2 Satz 1 SGB IX erfüllt. Sprich: Er hatte kein BEM angeboten. Der Arbeitnehmer befand sich in einer gesundheitlichen Extremsituation. Der Arbeitgeber hatte nichts zur Abhilfe beigetragen. Die Kündigung war damit, alles zusammen betrachtet, sozial nicht gerechtfertigt.
Arbeitgeber stellte Auflösungsantrag
Der Arbeitgeber wollte den Arbeitnehmer aber trotzdem nicht weiter beschäftigen. Er stellte deshalb vor Gericht einen Auflösungsantrag. Dem folgte das Gericht. Begründung: Eine den Betriebszwecken dienliche weitere Zusammenarbeit zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer sei nicht mehr zu erwarten.
Großzügige Abfindung
Bei der festzulegenden Abfindung legte das Gericht aber noch etwas „obendrauf“. Denn: Aufgrund der langen Betriebszugehörigkeit des schwerbehinderten Arbeitnehmers hätte er bei dem üblicherweise von den Arbeitsgerichten zugrunde gelegten Satz 69.000 Euro erhalten. Aufgrund des Lebensalters des Arbeitnehmers und seine damit eingeschränkten Chancen auf dem Arbeitsmarkt erhöhte das Gericht diesen Satz aber um den Faktor 0,1. Damit nicht genug:
Das Gericht erhöhte die Abfindung um einen weiteren Faktor von 0,1, weil der Arbeitgeber durch die unberechtigte Freistellung den Streit selber mitverschuldet hatte. Alles in allem bekam der Arbeitnehmer damit 96.600 Euro brutto.
Fazit
Auch bei schweren Beleidigungen mit nachfolgender Kündigung kommt es IMMER auf die Umstände des Einzelfalls an. Was immer für den Beschäftigten und gegen die Kündigung spricht: Am Ende kann dies vor Gericht Gold wert sein. Fast im wahrsten Sinne des Wortes.
Stand (05.12.2023)