Selten war eine Frage so umstritten, wie die Frage nach der Vergütung von Nachtarbeit. Alleine rund 6.000 Klagen sind dazu bei den deutschen Arbeitsgerichten anhängig, alleine 400 davon beim Bundesarbeitsgericht (BAG). Betroffen können deshalb davon auch Sie und Ihre schwerbehinderten Kolleginnen und Kollegen sein. Normalerweise spricht das letzte Wort in arbeitsrechtlichen Streitigkeiten das höchste deutsche Arbeitsgericht. Doch diesmal ist es anders: Die Erfurter Richter mussten sich vom allerhöchsten deutschen Gericht korrigieren lassen.
Nachtarbeit ist nicht gleich Nachtarbeit?
Eine bei Coca-Cola in Berlin beschäftigte Kollegin klagte gegen die unterschiedlich hohen Nacharbeitszuschläge im Manteltarifvertrag der Getränkeindustrie Berlin und Region Ost. Dort waren Nacharbeitszuschläge in Höhe von – 20 % für regelmäßige Nachtarbeit und – 50 % für unregelmäßige Nachtarbeit vereinbart.
Die Kollegin aus Berlin fand das nicht in Ordnung. Durch die unterschiedlichen Zuschläge verstoße der Tarifvertrag gegen das Grundgesetz und gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (EU).
Ihr Argument: Regelmäßige Nachtarbeit sei belastender als unregelmäßige Nachtarbeit. Deshalb müsse die Höhe der Zuschläge umgekehrt sein.
Der Coca-Cola-Konzern wollte sich dem naturgemäß nicht anschließen: Die Tarifvertragsparteien hätten mit der Vereinbarung unterschiedlicher Nachtarbeitszuschläge ihren Gestaltungsspielraum gewahrt. Höhere Zuschläge für ungeplante Nachtarbeit seien gerechtfertigt, weil die tarifgebundenen Kolleginnen und Kollegen dadurch einen Ausgleich für den Eingriff in ihre Freizeit erhielten. Wer dagegen regelmäßig zur Nachtarbeit eingeteilt werde, könne sein Freizeitverhalten an den immer wiederkehrenden Nachtschichten ausrichten. Dies sei – so die Arbeitgeberin – weniger belastend. Das BAG hatte der Kollegin noch Recht gegeben und gleiche Bezahlung angemahnt.
Tarifvertrag darf Unterschiede machen
Das Bundesverfassungsgericht sah das anders: Wer regelmäßig in Nachtschicht arbeitet, erhält zu Recht weniger als seine Kolleginnen und Kollegen, die nur unregelmäßig zur Nachtarbeit herangezogen werden. Die unterschiedliche Belastung bei unregelmäßiger Nachtarbeit im Vergleich zu regelmäßiger Nachtarbeit sei ein sachlicher Grund für die höheren Zuschläge, entschieden die Verfassungsrichter. Die höheren Zuschläge glichen auch Mehrbelastungen aus, die sich aus der schlechteren Planbarkeit der Freizeit bei unregelmäßiger Nachtarbeit ergeben. Eine entsprechende Vereinbarung in einem Tarifvertrag sei von der Tarifautonomie (Art. 9 Abs. 3 Satz 1 GG) gedeckt und könne gerichtlich nur auf Willkür, nicht aber im Übrigen überprüft werden (BVerfG, Beschluss vom 11.12.2024, 1 BvR 1422/23, veröffentlicht am 22.02.2024).
Die Tarifvertragsparteien können also in einem Tarifvertrag unterschiedlich hohe Zuschläge für Nachtarbeit vereinbaren, sofern dies durch einen sachlichen Grund – wie z.B. eine höhere gesundheitliche Belastung – gerechtfertigt ist. Das bedeutet, dass Kolleginnen und Kollegen, die nur gelegentlich zur Nachtschicht eingeteilt werden, durchaus höhere Zuschläge erhalten können als diejenigen, die regelmäßig in der Nacht arbeiten.
Nachtarbeit für Schwerbehinderte?
Schwerbehinderte können zwar Überstunden ohne Begründung ablehnen, für Nachtarbeit besteht im SGB IX jedoch keine entsprechende Regelung, durch die Nachtarbeit ebenfalls abgelehnt werden könnte. Grundsätzlich sind alle schwerbehinderten Kolleginnen und Kollegen zur Nachtarbeit verpflichtet, soweit es sich aus dem Arbeitsvertrag ergibt.
Allerdings kann sich aus den besonderen Pflichten der Arbeitgeber gegenüber schwerbehinderten Beschäftigten (§ 164 Absatz 4 SGB IX) im Einzelfall die Unzumutbarkeit von Nachtarbeit ergeben. Schwerbehinderte Arbeitnehmer können damit einen einklagbaren Anspruch auf Befreiung von Nachtarbeit haben. Voraussetzung ist, dass gerade die Behinderung eine Arbeitszeit ohne Nachtarbeit erfordert.
Der Arbeitgeber kann diesen Anspruch nur ablehnen, wenn er konkret darlegen kann, warum die Erfüllung des Anspruchs für ihn unzumutbar oder mit unverhältnismäßigen Aufwendungen verbunden ist. Das Argument, dass die Herausnahme einzelner Arbeitnehmer aus der Wechselschicht zu einer unverhältnismäßigen Belastung anderer Kollegen führt, reicht dafür z. B. nicht aus.
Stand (30.04.2025)